feverpitch.de
·2. Dezember 2025
Olympia ohne Rückhalt: Wie Berlin seinen Breitensport verliert

In partnership with
Yahoo sportsfeverpitch.de
·2. Dezember 2025

Die Vereinsdelegierten der Berliner Fußballvereine hatten sich zur „Dritten Halbzeit“ niedergelassen. In launiger Runde besprach man die Ergebnisse des gerade abgeschlossenen Verbandstages. Ein hoher und durchaus beliebter Funktionär des Berliner Fußball-Verbands ging mit einer Unterschriftenliste „Pro Olympia“ durch die Reihen – doch ohne Erfolg. Am Ende setzte er sich ohne einen Eintrag zu den Vereinsleuten, was diese sehr begrüßten.
Denn es gab einiges zu besprechen, etwa die hohe Fehlerquote bei den Monatsabrechnungen für die Vereine. Auch die geringe Teilnahme, die weiterhin riesigen Infrastrukturprobleme und der abgelehnte Antrag, die Rückennummer 88 zu verbieten, sorgten für Diskussionen. Doch niemand wollte über eine Berliner Olympiabewerbung reden.
Die Befürwortung für „die Spiele“ durch den Berliner Fußball-Verband erfolgte, ohne die Vereine zu fragen – also ohne deren Votum. Aber nicht einmal darüber hatte man Lust zu streiten. Vor allem die Debatte über die Folgen der Finanzreform war allen wichtiger. Immerhin hatte das Präsidium versprochen, die neuen Regelungen noch einmal zu überprüfen. Wenn es um Geld geht, stehen eben alle anderen Themen zurück.
Gleichwohl bleibt die Frage, warum sich niemand für die Olympiabewerbung interessiert. Die Sportverbände, die zuständige Senatorin, der Regierende Bürgermeister und der stets wenig Optimismus verbreitende Olympiabotschafter schaffen es nicht einmal, den Berliner Breitensport von einer Bewerbung zu überzeugen. Zu groß ist der Frust über die verlorenen letzten 20 Jahre, in denen es mit dem Amateursport in der Hauptstadt massiv bergab geht. Die ambitionierten Sportpolitiker der Vier-Millionen-Metropole kann man an einer Hand abzählen. Sport spielt in den Überlegungen zur Entwicklung der Hauptstadt maximal eine marginale Rolle.
Selbst die höchsten Funktionäre bemängeln immer wieder, der Sport sei nicht kampagnenfähig. Warum ist das so? Und wie ändern wir das? Man muss nicht jeden populistischen Spruch von Markus Söder oder jeden Bieranstich des Münchener Oberbürgermeisters ernst nehmen. Aber im Gegensatz zu Berlins Protagonisten strahlen sie eines aus: Lebensfreude!
Vergleicht man die Fotos der Berliner Protagonisten mit denen der Münchener, bekommt man einen Eindruck, warum in München zwei Drittel der Wählenden für Olympia gestimmt haben – insgesamt 330.000 – während Berlin nach Monaten des Sammelns noch immer nicht die 20.000 Unterschriften zusammen hat, die es braucht, damit sich das Abgeordnetenhaus damit beschäftigt. Und das, obwohl die Stadt deutlich mehr als doppelt so viele Einwohner hat. Der Stand am Montag früh bei mehr als 6.000 Teilnehmern stimmen in einer Umfrage für den Tagesspiegel 68 % gegen Olympia – ein Offenbarungseid.
Dabei gäbe es Möglichkeiten, die Berliner Sportlerinnen und Sportler zu gewinnen und den Sport kampagnenfähig zu machen, etwa durch ein glaubwürdiges Commitment, Sport als Teil der Stadtgesellschaft zu sehen, eine selbstbewusste Öffentlichkeit, die nicht nur jammert, sondern Vorzüge zeigt, eine Sportpolitik, die sich ehrlich um die Anliegen der Vereinsmitglieder kümmert, die Zusammenarbeit mit Wirtschaft, Wissenschaft und Organisationen.
Gerade der letzte Punkt ist vom Bürgermeister jedoch gerade zerlegt worden. Mit leichenbitterer Miene und im Basta-Stil sprach er sich für Olympia und gegen die sehr erfolgversprechende Bewerbung für eine EXPO 2035 aus. Dabei wäre das Zusammenspiel der beiden Bewerbungen wohl die einzige Chance gewesen, Olympische Spiele 2040 oder 2044 nach Berlin zu holen. 2036 ist eh kein Thema. Erstens dürfte dieses Jahr gedanklich längst an Indien oder Saudi-Arabien vergeben werden, zweitens würde eine deutsche Bewerbung moralisch von vielen Ländern zerlegt werden. Zu lang sind die dunklen Schatten der Geschichte.
Die EXPO-Macher haben die Berliner Wirtschaft hinter sich, die Industrie- und Handelskammer ist einer der größten Fürsprecher. Auch der SPD-Bürgermeisterkandidat sowie die Senatorinnen für Wirtschaft, Umwelt und Wissenschaft, selbst die Grünen unterstützen die Expo-Idee. Ebenso sprechen sich Universitäten, große Unternehmen und sogar Sportvereine für eine Weltausstellung in Berlin aus. Was wäre es für eine Chance gewesen, wenn der Berliner Landessportbund über seinen Schatten gesprungen wäre und sich mit den Expo-Leuten von Global Goals zusammengetan hätte.
Die Überschneidungen sind nämlich groß. Auch der Sport wird sich zwangsläufig intensiv mit nachhaltigen Themen befassen müssen. Schon bald werden wir Sommer mit Temperaturen von über 40 Grad erleben. Kaum vorstellbar, dass da ein Marathon oder ein Zehnkampf stattfinden kann – oder ein Kinderturnier mit mehr als drei, oft sogar fünf Stunden Dauer. Und auch die soziale Komponente wird zunehmend wichtiger.
Die Expo-Macher haben etwas sehr Wesentliches, was dem Berliner Breitensport fast komplett fehlt: Zugang zur Wirtschaft. Der Berliner Fußball-Verband hat jüngst seine drei größten Sponsoren verloren – und keinen Ersatz. Interessenten melden sich bitte, denn die Vereine wollen nicht noch mehr Gebühren oder höhere Beiträge zahlen.
Es gäbe weitere Synergien, etwa die Chance zum breiten Zusammenhalt oder zur gemeinsamen Abwehr radikaler Kräfte. Längst wird der Fußball durch Rechtsaußen unterwandert. Auch deshalb ist das gescheiterte Verbot der Rückennummer 88 ein fatales Signal. Berlin ist eine vielfältige Stadt, die sich der Weltoffenheit rühmt. Wahrscheinlich haben mehr als die Hälfte der Fußball spielenden Kinder eine familiäre Zuwanderungsgeschichte. Allein deshalb hätte es ein Zeichen gebraucht.
Und natürlich hätten die Sportverbände gemeinsam mit der engagierten Berliner Zivilgesellschaft für bessere Sportanlagen, für die Unterstützung des Ehrenamts und für Sponsorings in den Amateurvereinen, ihren gemeinsamen Willen für die Verbindung von Bildung, Soziales, Unternehmen und Sport demonstrieren können – wenn man denn gewollt hätte. Sofern man denn kampagnenwillig sein möchte.
Der kleinmütige Beschluss des Regierenden und der Innensenatorin kann also mit Fug und Recht als ein Beschluss gegen den klassischen Breitensport gewertet werden. Mal wieder! Es ist schade, dass der Weitblick für die gemeinsamen Chancen fehlt und Möglichkeiten leichtfertig vertan werden. Berlin hat Besseres verdient.
Noch ist Zeit zur Umkehr hin zum ganz breiten Bündnis, das die Stadt, die Sportverbände und eine Olympiabewerbung dringend benötigen.
Du willst auch deine Meinung bei Fever Pit’ch kundtun? Das geht problemlos hier: Gerne klicken!









































