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·13. November 2024
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·13. November 2024
Plötzlich zwickte das Bein. Maria Luisa Grohs verzog das Gesicht und setzte sich auf den Rasen, schon kamen die Physiotherapeuten zur Behandlung und das Spiel wurde pausiert. Es klingt wie eine alltägliche Szene aus einem Fußballspiel.
Aber auffällig war, dass Grohs diese Beschwerden zu einem strategisch günstigen Zeitpunkt erlitt. Ihr Team, die Bayern-Frauen, spielten gerade auswärts in Freiburg, lagen in der 36. Minute mit 0:2 zurück und hatten komplett den Faden verloren. Kurz vor der Halbzeitpause nutzte Trainer Alexander Straus die Unterbrechung für eine Ansprache an sein Team, das danach tatsächlich mit frischem Wind die Freiburger Defensive attackierte.
Grohs bekam außerdem, wie es in einer Kameraeinstellung im Livestream zu sehen ist, kurz vor ihrer "Verletzung" ein Handzeichen von Innenverteidigerin Magdalena Eriksson. Der Verdacht, dass es sich nicht um einen echten Notfall handelte, sondern um ein taktisches Mittel, liegt nahe.
Eine Verletzung zu unterstellen, ist natürlich heikel, und es ist gut möglich, dass Grohs tatsächlich Probleme hatte. Aber Fakt ist, dass es nicht das erste Mal war, dass die Bayern-Frauen so eine strategische Pause bekamen.
Bayern ist dabei mit dieser neuen Taktik nicht allein: Auch Arsenal gelangte durch dieses Stilmittel eine unrühmliche Bekanntheit, deren Goalie Manuela Zinsberger leidet sogar fast in jedem Spiel, in dem es nicht so läuft, an den rätselhaften Beschwerden. Der Ablauf ist fast immer derselbe: Das gegnerische Team hat gerade einen Lauf, die Torhüterin setzt sich hin, alle anderen besprechen sich in einem Kreis, und nach ein bis zwei Minuten geht es weiter.
Auf diese taktische Innovation gibt es verschiedene Reaktionen. Viele Fans zeigten sich empört - wobei sich der Ärger in jedem Fall nicht gegen die Torhüterin selbst richten sollte, denn diese folgt nur einer Anweisung von außen. Der Ärger ist verständlich.
Andererseits kann man argumentieren, dass Fußballteams alles tun, um im Rahmen des Erlaubten ihre Chancen zu erhöhen. Die strategischen Timeouts sind da nur ein weiterer Bestandteil in einem Repertoire von Meckern, quälend langsam ausgeführten Freistößen und Wechseln in der Nachspielzeit, um das Spiel schneller zum Ende kommen zu lassen.
Der Vorteil liegt auf der Hand, Fußballtrainer sprechen gerne vom so wichtigen Momentum - genau das kann in einer schwierigen Phase mit einer guten Ansprache und einigen taktischen Veränderungen wiederhergestellt werden. Werden Fußballteams als rationale Akteure betrachtet, dann ist es sogar verwunderlich, dass die Fake-Verletzungen sich nicht schon weiter verbreitet haben. Denn gegen sie vorzugehen, ist sehr schwierig.
Die offensichtlichste Lösung wären Gelbe Karten, wie es sie auch für übermäßige Zeit-Schinderei gibt. Aber wie soll die Schiedsrichterin wissen, ob es sich tatsächlich um eine Verletzung handelt oder nicht? In den Körper der Torhüterin hereinfühlen kann nur sie selbst.
Eine voreilige Regelung könnte daher gravierende Folgen haben: Spielerinnen könnten sich aus Angst, mit Gelb bestraft zu werden, weniger behandeln lassen und so gesundheitliche Risiken auf sich nehmen. Das wäre ein Eigentor par excellence.
Präzedenzfälle für Strafen gibt es aber aus dem Männerfußball schon: In Österreich zeigte der Trainer von Austria Wien, Michael Wimmer, 2023 seinem Torhüter mit einem Griff an den Oberschenkel an, er solle sich hinsetzen. Wimmer bekam dafür eine Sperre für ein Spiel, die Aktion sei eine "Verletzung des Fairplay-Gedanken" gewesen, so der Strafsenat der österreichischen Liga.
Ein Griff an den Oberschenkel ist allerdings wenig subtil - andere Trainer dürften aus dem Beispiel gelernt haben, und bei weniger eindeutigen Gesten dürfte es schwierig sein, die Unsportlichkeit nachzuweisen.
Sinnvoller wäre es wohl, simulierte Verletzungen zu unterbinden, indem sie unnötig werden. Den Teams könnte also eine Alternative zur Kommunikation während dem Spiel angeboten werden. In anderen Sportarten, beispielsweise im American Football, gibt es bereits reguläre "Timeouts".
Jedes Team hat in der NFL drei Timeouts pro Halbzeit. Dabei können sich die Teams besprechen und taktische Veränderungen vornehmen - genau das, was die Verletzungen auch herbeiführen sollen. Diesen Lösungsansatz stellte 90min-Journalistin Adriana Wehrens neulich im Fußball-Podcast Rasenfunk vor.
Drei Timeouts pro Halbzeit und Team wären im Fußball wohl zu viel und würden den Spielfluss sehr stören. Aber ein Timeout pro Spiel wäre durchaus denkbar. Das wäre aber eine grundlegende Veränderung der Regeln, die von ganz oben, also der FIFA, kommen müsste. Bis dahin kann es also noch dauern, und das Problem mit den Verletzungen wird nicht schon morgen gelöst sein.
Eine Alternative zur Kommunikation zwischen Spielern und Trainern während dem Spiel: In-Ear-Kopfhörer oder Lautsprecher, die bereits von verschiedenen Teams getestet wurden. Die spanische Männer-Nationalmannschaft testete 2022 kleine Lautsprecher, mit denen die Spieler Botschaften vom Trainer hören konnten. Auch Julian Nagelsmann sagte damals, er fände dieses technische Hilfsmittel interessant.
In der American-Football-Liga NFL gibt es solche Lautsprecher, in Ergänzung zum Timeout, bereits. Im Fußball haben sie sich aber nicht wirklich durchgesetzt, auch weil die tatsächliche Kommunikation auch hier ja nur in kurzen Pausen - etwa vor Standards - möglich ist. Wenn eine Spielerin gerade im Vollsprint ist und ein "Schneller, los!" aus dem Kopfhörer hört, ist das wohl kaum hilfreich.
Außerdem ist die Technologie dahinter recht komplex, dementsprechend groß sind die Kosten. Im Männerfußball ist es möglich, dass sich die Lautsprecher durchsetzen, im Frauenfußball wirkt es unwahrscheinlich. Und auch hier käme es vielleicht zu Disputen mit den Fußballverbänden, ob die neuen Gadgets genutzt werden dürfen.
Die Kommunikation zwischen Spielerinnen und Trainern im Spiel ist verständlicherweise für die Coaches ein Anliegen. Trainer können die Pausen, die aus simulierten Verletzungen entstehen, für taktische Anweisungen nutzen, und ihr Team kann wieder zu Kräften kommen.
Sinnvoll ist es also, aber sind solche Pausen auch ethisch vertretbar? Schließlich wird dabei ein Notfall simuliert. Die Konsequenz: Falls simulierte Verletzungen zu oft auftreten, könnten echte Fälle zukünftig weniger ernst genommen werden. Dazu ist es aus gegnerischer Sicht unsportlich, sich so einen Vorteil zu verschaffen.
Bei vielen Teams scheinen aber die Vorteile zu überwiegen und Bedenken wegen Unsportlichkeit weniger zu zählen. Solange sich daher die Regeln zu Timeouts, also legalen Pausen während dem Spiel, nicht ändern, dürfte es auch in Zukunft noch einige Szenen wie im Bayern-Spiel gegen Freiburg geben.
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