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·4 June 2025
EM 2025: Der überfällige Wachstumsschub für den Frauenfußball in der Schweiz?

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·4 June 2025
"Eine Saison der Rekorde" feiert die Schweizer Frauenfußball-Liga auf ihrer Website. Einen Monat vor Start der Frauen-EM ist man in der Schweiz bemüht, für Aufbruchsstimmung zu sorgen. Aber schaut man hinter die Schlagzeile, schrumpft der Optimismus prompt ein wenig. Nur 773 Fans kamen durchschnittlich zu den Spielen der ersten Schweizer Liga.
Es fehlt an vielen sperrigen Wörtern und all dem, was dahinter steht: Es fehlt an strukturellen Reformen und an Professionalisierungsauflagen, an Investitionsbereitschaft und vielleicht auch Fußballbegeisterung schlechthin. Die EM, so die Vorstellung, soll jetzt wie durch den Wink eines Zauberstabs viele Probleme ausradieren und einen jahrelangen Rückstand ausgleichen. Aber wie realistisch ist das?
Lia Wälti, Kapitänin des Schweizer Nationalteams, ist keine, die große Töne spuckt. Die Mittelfeldspielerin von Arsenal gilt als ruhige Natur, als eine, die beispielhaft vorangeht. Aber Wälti hat vor der EM klare Töne für die Zustände des Frauenfußballs in ihrem Heimatland gefunden. "Die Schweiz kommt nur in kleinen Schritten voran", sagte Wälti wenige Monate vor der EM - kleine Schritte wie der von 657 Zuschauerinnen und Zuschauern pro Spiel zu 773 Fans.
Gerne wird in Gesprächen rund um die anstehende EM die Europameisterschaft 2022 in England als Positivbeispiel herangezogen: Das Turnier bewies, wie viel wenige Wochen langfristig bewirken können. Wohl wahr, aber der Boden war in England bereits fruchtbar, einige Samen gesät, die Zuschauerzahlen am Steigen - und das auf bedeutend höherem Niveau als in der Schweiz aktuell. Bei den Eidgenossinnen ist dagegen noch zu spüren, dass die Erde vom jahrelangem Nichtstun im Bereich Frauenfußball noch zugefroren ist - der Spaten des Fortschritts wird hier auf deutlich härteren Widerstand treffen als anno 2022 in England.
Beispielsweise wurde die Finanzierung für die EM 2025 von Seiten des Bundes drastisch gekürzt, sodass nun die Städte und Kantone für das Gros der Kosten aufkommen müssen. Wirkt kaum so, als würden tatsächlich alle an einem Strang ziehen.
Für den Fortschritt des Frauenfußballs in der Schweiz wäre der wichtigste Punkt wohl die Aufwertung der ersten Liga. Die schwankt zwischen dem Versuch, ein modernes Branding aufzubauen, und veraltet wirkenden Strukturen: Einerseits spielen in der obersten Spielklasse noch Dorfklubs mit dementsprechender Infrastruktur. Der Liga geht es ähnlich wie Deutschlands Frauen-Bundesliga vor zehn Jahren: Frauenfußball ist für die Spielerinnen höchstens ein Nebenerwerb.
Andererseits bemüht sich die Liga schon heute stark, das zu ändern, und setzt ähnlich wie in Deutschland und England auf die Strategie der "Highlight-Spiele", also wenige Spiele in großen Stadien, die stark vermarktet werden. Das funktioniert, bei den Zuschauerzahlen gibt es teils starke Ausschläge nach oben, bis zur 10.000er-Marke - für ein kleines Land wie die Schweiz durchaus beachtlich. Auch das Nationalteam konnte zweimal hintereinander den Zuschauerrekord brechen.
Das Nationalteam spielte in den letzten Monaten mehrfach vor großen Kulissen / Daniela Porcelli/GettyImages
Ob das langfristig viel bringt, bleibt aber noch zu sehen. Zumal das Marketing teils ungeschickt anmutet. Die Liga heißt offiziell beispielsweise "Women's Super League" - also genauso wie die englische erste Liga. Für die gute Auffindbarkeit bei Suchmaschinen kann das kaum förderlich sein, und ob ein mondänes Marketing für eine Liga mit Teams wie "Rapperswil-Jona" und "Frauenteam Thun Berner-Oberland" wirklich passend ist, sei mal dahingestellt. Die EM kann sicher dabei helfen, Sponsoren zu finden und somit die Strukturen zu verbessern. In welchem Rahmen, das bleibt aber fraglich.
Auch die große Zuschauerexplosion ist nach der EM in geringerem Rahmen zu erwarten als in England. Das hat einen einfachen Grund: In England wurden die EM-Heldinnen Leah Williamson, Beth Mead, Chloe Kelly oder Ella Toone auf einen Schlag bekannt und zu Publikumsmagnetinnen. Wer sich neu für Frauenfußball begeisterte, konnte genau diese Spielerinnen nur Wochen später bei Arsenal, Manchester United oder Manchester City spielen sehen. Die Schweizer Nationalspielerinnen jedoch spielen fast alle im Ausland, besonders die Leistungsträgerinnen des Teams. Die Bindung zu den Fans macht das nicht leichter.
Es geht nicht nur um Zuschauerzahlen, es braucht auch strukturelle Reformen. Aktuell ist der Frauenfußball in Gremien des Schweizer Verbandes noch gemeinsam mit den Amateuren vertreten, eine Person spricht also für beide zusammen - das steht symptomatisch dafür, wie Frauenfußball aktuell noch gesehen wird. Dabei liegt auf der Hand, dass die Interessen teils ganz verschieden sind.
Vielleicht ist das Problem sogar noch grundsätzlicherer Natur. Lia Wälti sagt: "Ich frage mich, ob die Schweiz fußballbegeistert genug ist, damit man so viel erreichen kann wie in anderen Ländern." Auch das Männer-Nationalteam, so Wälti, schaffe es nur bei einem Spiel von zehn, das Stadion voll zu bekommen. Vielleicht ist also auch die Erwartungshaltung ein Teil des Problems.
Wer sich von der EM bloß einen starken Anstieg bei den Zuschauerzahlen erhofft, könnte enttäuscht werden. Diese Statistik ist sowieso wohl kein guter Indikator für die Frage, ob der Frauenfußball in der Schweiz durch das Turnier tatsächlich langfristig weitergebracht wurde. Viel wichtiger wäre, dass die Wertschätzung innerhalb des Verbandes steigt.
Es gibt im Vorfeld der EM bereits Anzeichen dafür, dass das passiert ist - der Fußballverband hat viel getan, um die EM zu bewerben, und mit der Verpflichtung von Trainerin Pia Sundhage beispielsweise Ambitionen für das eigene Nationalteam gezeigt. Diese Ambition gilt es beizubehalten und mit strukturellen Reformen zu untermauern. Auf Klubebene wäre es ein wichtiger erster Schritt, durch neue Sponsoren bessere Trainingsbedingungen zu ermöglichen, langfristig vielleicht auch mehr Gehälter.
Aber ein jahrelanger Rückstand lässt sich nicht in wenigen Wochen aufholen: Er lässt sich nur durch jahrelanges Am-Ball-Bleiben nach einem erfolgreichen Turnier aufholen.