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·1 June 2025
Inter wie Kanonenfutter: So gelang PSG eine historische Machtdemonstration

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·1 June 2025
Der 31. Mai 2025 wird in die Geschichtsbücher eingehen, und das nicht nur in jene, die in Paris geschrieben wurden. Wie PSG eine historische Machtdemonstration über Inter gelang.
Die Mitarbeiter des Vereinsmuseums von PSG werden in den kommenden Tagen wohl die eine oder andere Überstunde schieben müssen. Schließlich darf sich der französische Branchenprimus seit Samstagabend zum ersten Mal in der Vereinsgeschichte Champions-League-Sieger nennen. Neben 13 französischen Meisterschaften, 16 nationalen Pokalen und der einen oder anderen weniger prestigeträchtigen Trophäe muss jetzt also ein möglichst prominentes Plätzchen für den so langersehnten Henkelpott gefunden werden.
Und zusätzlich bräuchte es im Optimalfall mindestens fünf neue Leinwände im Museum, die das Wie des historischen Triumphes von München bebildern. Für den Rest der Welt lautete die größte Schlagzeile am Samstagabend nämlich nicht, dass PSG seinen Titelfluch auf europäischer Ebene beendet, sondern, dass dies auf eine Art und Weise geschah, die dieser Wettbewerb noch nie gesehen hat. Das 5:0 gegen Inter ist nämlich auch ein historisches Ergebnis. Weil es den höchsten Finalsieg in der Geschichte des wichtigsten europäischen Fußballwettbewerbs markiert. Mit anderen Worten: Nie war der Titelgewinn in der Champions League souveräner und verdienter.
Nun gibt es ja durchaus auch hohe Siege, die etwas willkürlich daherkommen, weil sie nicht wirklich zum Spielgeschehen passten. Beim Triumph der Pariser war das Gegenteil der Fall: Die rund 65.000 Zuschauer in der Münchner Allianz Arena wurden Zeugen einer historischen Machtdemonstration.
Bereits in den Anfangsminuten zeichnete sich eine Pariser Dominanz ab, die für Inter zunehmend erdrückend wurde. Denn: PSG ließ vom Anpfiff weg genau die Qualitäten aufblitzen, die sie in dieser Saison so stark machten und bis ins Finale brachten. Vom Anpfiff weg ist in dem Fall wörtlich gemeint: Als Schiedsrichter István Kovács die Partie freigab, spielte Ousmane Dembélé vom Mittelkreis zurück zu Vitinha, der die Kugel hoch und weit Richtung gegnerische Eckfahne ins Seitenaus drosch.
Ein zugegebenermaßen etwas unkonventionelles, wenngleich unter Trainer Luis Enrique bewährtes Stilmittel, von dem die Pariser schon in nahezu jedem K.o.-Spiel Gebrauch gemacht hatten. Warum? Weil eine Mannschaft bei einem Einwurf unweit des eigenen Strafraum gegen einen hoch pressenden Gegner nur begrenzt Anspielmöglichkeiten hat. PSG konnte somit schon nach wenigen gespielten Sekunden auf ein Kernattribut setzen: Auf Kommando hoch pressen und den Gegner direkt ins Schwitzen bringen.
(Photo by Lars Baron/Getty Images)
PSG legte Inter damit früh die Schlinge um den Hals. Die Nerazzurri hatten bei der Ballannahme kaum mehr als den Bruchteil einer Sekunde Zeit, bis ihnen ein Pariser auf den Füßen stand. Sie schafften es nicht, sich aus eigener Kraft zu befreien. PSG hatte also von Beginn an die volle Kontrolle über den Gegner – sowohl ohne als auch mit dem Ball. Denn der französische Serienmeister wusste auch seinen zweiten großen Trumpf auszuspielen: Das Ballbesitz- und Positionsspiel. In dieser Kategorie gab es in der abgelaufenen Saison schlichtweg keine Mannschaft, die es besser machte als die von Enrique.
Die Pariser verfügen über eine enorme Passsicherheit sowie viel Tempo und Variabilität im eigenen Spiel. Dabei tauschen die Akteure über den ganzen Platz verteilt immer wieder ihre Positionen, sind damit noch unberechenbarer und für den Gegner kaum zu greifen. Exemplarisch für all das stand das Tor zum 1:0: Über viele Passstationen kam die Kugel an den gegnerischen Sechzehner zu Taktgeber und Initiator Vitinha, der die Lücke erkannte und Désiré Doué links im Strafraum bediente. Der 19-jährige Ausnahmekönner behielt den Kopf oben und legte zum perfekt postierten Achraf Hakimi rüber, der den Laufweg von seiner rechten Außenbahn in den Strafraum gemacht hatte und ins leere Tor zur Pariser Führung einschob (12.).
Als wäre dieses messerscharfe Pariser Ballbesitz-Konstrukt, das Enrique erschaffen hat, nicht schon Munition genug, um den Gegner im Keim zu ersticken, glänzt PSG zusätzlich auch noch durch die individuelle Klasse einzelner Spieler. An diesem Abend zum Beispiel in Person von Vitinha, der nicht nur vier sogenannte Key Passes spielte, sondern durch eine überragende Aktion das zwischenzeitliche 3:0 vorlegte, indem er per Doppelpass und vorausschauend perfektem Laufweg einmal das gesamte Spielfeld überbrückte und anschließend Torschütze Doué bediente.
Und Doué ist ein gutes Stichwort beim Thema individuelle Klasse: Mit Auge, technischen Fertigkeiten und immer dem Gespür für die richtigen Räume war der junge Franzose für Inter so ganz und gar nicht zu greifen. Mit zwei Toren und einer Vorlage avancierte der ehemalige Bayern-Flirt zum Matchwinner der Partie. PSG zelebrierte Fußball in all seinen Facetten und das auf einem Level, dem Inter an diesem Abend schlicht und ergreifend nicht gewachsen war.
(Photo by Stu Forster/Getty Images)
Bereits und besonders die ersten 45 Minuten waren derart erdrückend, dass bei der sonst als Mentalitätsbiest berüchtigten Elf von Simone Inzaghi die ersten Blicke gen Boden gingen. Spätestens das 0:2 durch Doué (20.), bei dem Federico Dimarco wie schon beim ersten Gegentor nicht gut ausgesehen hatte, machte etwas mit den Köpfen der Spieler. Die Mailänder wirkten passiv, teilweise sogar ängstlich, kamen nicht in die Zweikämpfe. Ein einziges Foul beging Inter in Durchgang eins. Das spricht einerseits für ein faires Spiel, andererseits aber auch für deutlich zu wenig Gegenwehr gegen eine Pariser Elf, die sich anders nunmal kaum stoppen lässt.
Im eigenen Ballbesitz schlichen sich ungewohnte technische Fehler ein, das Offensivspiel wirkte wie gelähmt, das sonst so gefährliche Sturmduo aus Lautaro Martinez und Marcus Thuram: abgemeldet. „Wir waren in vielen Punkten zu schlecht, um ein Finale der Champions League zu gewinnen“, waren die klaren Worte von Yann Sommer nach dem Spiel. Auch Denzel Dumfries wurde nach der derben Finalpleite deutlich: „Wir hatten einen Matchplan, haben es aber nicht geschafft ihn umzusetzen. Das müssen wir wie Männer akzeptieren.“
Als wäre der Klassenunterschied im ersten Durchgang nicht genug, wuchs Inter nach dem Seitenwechsel auch noch eine Pechsträhne. So musste der an der Seitenlinie nimmermüde Simone Inzaghi den gerade erst eingewechselten Yann Bisseck nach nur acht Minuten verletzungsbedingt wieder vom Feld nehmen (62.). Ein weiterer Nackenschlag für die Nerazzurri, für die das Spiel nur eine Zeigerumdrehung später durch den Gegentreffer zum 0:3 praktisch endgültig gelaufen war.
In der noch verbleibenden halben Stunde schmückte PSG seinen ohnehin schon feststehenden Sieg spielerisch weiter aus: Der auch an diesem Abend kaum zu greifende Khvicha Kvaratskhelia belohnte sich nach einigen vergebenen Chancen mit dem eigenen Treffer zum 4:0 (73.), nach 86 Minuten setzte der eingewechselte Senny Mayulu den Schlusspunkt. Dass ein 19-Jähriger, den außerhalb der französischen Landesgrenzen kaum ein Fußballfan kennt, in einem Champions-League-Finale für den Endstand sorgt, passte am Ende ein Stück weit ins Gesamtbild eines aus Inter-Sicht rundum gebrauchten Tages.
In einer Pariser Mannschaft voller hochverdienter Champions-League-Sieger ist indes einer ganz besonders hervorzuheben: Luis Enrique. Der Architekt des Erfolges. Der erste Trainer, der es schaffte, mit PSG die Champions League und damit gleichzeitig auch das Triple zu gewinnen. Mit höchst ansehnlichem Fußball aus der allerhöchsten Güteklasse und einem Kader, der im Durchschnitt keine 24 Jahre alt ist.
(Photo by Lars Baron/Getty Images)
Für den Spanier war der historische Erfolg besonders emotional: Das Kunststück Triple gelang dem 55-Jährigen vor zehn Jahren schon einmal mit dem FC Barcelona. Damals feierte er den Triumph mit seiner seiner kleinen Tochter Xana, zusammen steckten sie eine Barca-Fahne in den Rasen des Berliner Olympiastadions. 2019 starb Xana im Alter von nur neun Jahren an den Folgen von Knochenkrebs. Den Triumph mit PSG widmete Enrique daher seiner verstorbenen Tochter, von den Fans gab es dazu ein rührendes Banner. „Xana ist immer bei uns“, sagte Enrique im Interview beim ZDF. „Ich denke, dass sie hier unter uns rennen würde, es ist ein wunderbarer Gedanke und schön, es auch mit der Familie und den Freunden zu teilen.“