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·22. März 2024
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·22. März 2024
Mit der allgemeinen Zufriedenheit ist es im Fußball ja so eine Sache. Zufrieden sind selten alle - und wenn doch, dann wird weniger darüber gesprochen, als wenn alle unzufrieden sind. Das wiederum ist der häufigere Fall, vor allem wenn es um Nominierungen geht. Dann fehlt garantiert immer irgendjemand, ob eine englische Stürmerin oder eine brasilianische Verteidigerin. Ganz richtig ist die Liste nie, Fußballfans sind ebenso gerne Jury-Experten wie Bundestrainer.
Manchmal aber, da sind sich alle einig, dass ein Irrtum vorliegen muss, oder eine skurrile Farce. So ähnlich war es im letzten Jahr, als Caroline Graham Hansen, norwegische Flügelspielerin in Diensten des FC Barcelona, es nicht auf die Shortlist des Ballon d'Or schaffte. Wieder nicht, muss man eigentlich sagen, denn sie war noch nie für die prestigeträchtige Auszeichnung nominiert. Und das, obwohl die Shortlist gar nicht so short war, immerhin zwanzig Spielerinnen hatten dort Platz gefunden.
Graham Hansen hatte mit Barcelona wieder mal alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt. Mit Norwegen aber war sie erneut bei der WM gescheitert - und da der frische Eindruck oft der stärkste ist, waren ihre hervorragenden Leistungen aus der Saison zum Zeitpunkt der Nominierungen wohl schon wieder vergessen.
Ein ähnliches Schicksal droht dieses Jahr, denn Graham Hansen hat sich mit Norwegen nicht für die Olympischen Spiele qualifiziert. Eine Nichtnominierung für die wichtigen Auszeichnungen wäre allerdings noch bedeutend schwerer zu rechtfertigen als in all den Jahren zuvor, in denen Graham Hansen, unbestritten einer der Besten ihres Fachs, die großen Lorbeeren verwehrt blieben.
Denn vor dem großen Finale der Saison hat Graham Hansen nicht nur erneut ihre Dribbelkünste unter Beweis gestellt, Finten gezeigt und Gegenspielerinnen aussteigen lassen. Sie hat ihr Spiel beim katalanischen Champions-League-Sieger auch effizienter gemacht. Und so zeichnen die blanken Statistiken ein klares Bild. 28 Spiele für Barcelona stehen bisher zu Buche - und darin 25 Tore und 24 Vorlagen.
Im Schnitt, das muss man sich nochmal deutlich machen, erzielt die 29-Jährige also fast einen Treffer pro Spiel und legt dazu einen weiteren auf. Ob in der Liga oder in der Champions League, wo sie mit fünf Toren und fünf Vorlagen die meisten Scorerpunkte sammelte - Graham Hansen trifft und trifft, legt auf und legt auf.
Ihre Klasse hätten schon vor Jahren wenige bestritten. Auf die Frage, welche Spielerin im Frauenfußball am besten im Eins-gegen-Eins ist, antworten fast alle unisono: Caroline Graham Hansen, mit ihrer feinen Technik, ihrer Intelligenz, ihrer Leichtfüßigkeit. Lucy Bronze, ihre Mitspielerin bei Barcelona, steht nicht alleine mit ihrer Aussage da, wenn sie sagt: "Sie ist einzigartig im Frauenfußball - und offensiv die beste Flügelspielerin der Welt."
In Barcelona, in einem Team voller uneigennütziger Individualistinnen, blüht Graham Hansen auf. Sie, mit der legendären Nummer 10 auf dem Rücken, sticht aus dem eingespielten Ensemble nochmal heraus. Es ist eine Synthese zwischen Spielerin und Verein, wie es sie auch zwischen Barcelona und Weltfußballerin Aitana Bonmatí gibt, zwischen Thomas Müller und dem FC Bayern. Graham Hansen, deren Vorbild der frühere Barcelona-Stürmer Rivaldo ist, kam 2019 vom VfL Wolfsburg nach Barcelona.
Und obwohl die blanken Zahlen auch am Mittellandkanal, in dem Sturmtrio mit Ewa Pajor und Pernille Harder, stark waren (2018/19: 8 Tore und 27 Vorlagen in der Bundesliga) - Graham Hansen hat bei Barcelona diese Saison das erreicht, was ihr schon länger zugetraut wurde.
Im aktuell besten Team der Welt ist es leichter als anderswo, Tore und Assists anzuhäufen. Aber das schmälert ihre Leistung nicht, denn auch in den wichtigen Spielen ist die Norwegerin zur Stelle. Wer sie diese Saison für Barcelona spielen sieht, bemerkt ein neues Selbstbewusstsein, mehr Zielstrebigkeit neben den schönen Schnörkeln und Schlenkern, mehr Kaltschnäuzigkeit vor dem Tor.
Graham Hansens Karriere fiel bisher lange in die Kategorie der unvollendeten Wunderkinder. Eine Rolle spielen dabei ihre Herzprobleme, wegen derer sie sich 2022 operieren lassen musste und sich vorerst aus dem norwegischen Nationalteam zurückzog. Kleine Verletzungen an der Patellasehne, dem Oberschenkel oder dem Knie, warfen sie immer wieder zurück.
Zudem machten Graham Hansen immer wieder mentale Probleme zu schaffen, auch während ihrer Zeit in Wolfsburg. Darüber sprach die Norwegerin sehr offen, berichtete 2016 auf ihrem Blog von Depressionen, der viel zu hohen Erwartungshaltung an sie und ihren Ängsten. Graham Hansen ist keine Rampensau, sie wird von Weggefährten als sensibler Mensch beschrieben. Ähnlich wie Alexia Putellas steht sie gerne beim Fußball im Zentrum der Aufmerksamkeit, aber neben dem Platz weniger.
Graham Hansen und das norwegische Nationalteam, das passte lange Zeit etwa so gut zusammen wie Ananas und Pizza laut den meisten Italienern. Auf der einen Seite hohe Erwartungen an eine, die schon mit 18 Jahren einen großen Teil zum zweiten Platz bei der EM 2013 spielte; auf der anderen Seite oft schwankende Leistungen, blasse Spiele, wenn die meisten Augen auf sie gerichtet waren. Norwegen hat mit ihr, Hegerberg und Guro Reiten eine der besten Offensivreihen der Welt, und enttäuschte doch in den letzten Jahren mit erstaunlicher Regelmäßigkeit.
Auch wegen vielen internen Konflikten. Hegerberg zog sich aus Protest gegen die ungleiche Behandlung von Frauen zwischenzeitlich aus dem Nationalteam zurück - ihre Kritik teilten viele, ihr Vorgehen empfanden einige Kolleginnen aber als egoistisch. Die Beziehungen zwischen Graham Hansen und Hegerberg sollen daraufhin auf nordisch eisige Temperaturen herabgekühlt werden, die beiden Topspielerinnen redeten nicht mehr miteinander. Ein Ego haben beide durchaus.
Nach Hegerbergs Rückkehr gab es eine verpatzte EM, einen Trainerwechsel, erneut eine verpatzte WM - und eine ungewöhnlich offene Wutrede von Graham Hansen, nachdem sie im entscheidenden Spiel gegen die Schweiz 60 Minuten lang auf der Bank schmorte: "Ich habe das Gefühl, dass man ein Jahr lang auf mir herumgetrampelt ist. Du sprichst davon, dass wir als Team und als Nation zusammenstehen. Ich habe das Gefühl, dass ich das im letzten Jahr einfach so hingenommen habe. Ich dachte, ich hätte mir ein gewisses Maß an Respekt verdient", sagte sie, an Ex-Nationaltrainerin Hege Riise gerichtet.
Hegerberg und Graham Hansen waren sich nicht immer grün, sie beide litten aber unter dem in skandinavischen Ländern wichtigen "Gesetz von Jante", das besagt, dass der Einzelne nie über dem Gesamten stehen darf. Kurz: Das Nationalteam war für Graham Hansen nie die Wohlfühloase, die sie braucht, um sich als Spielerin komplett entfalten zu können.
Bei Barcelona ist das komplett anders, Graham Hansen steht im Dienst des Teams und hilft dem mit ihrer neuen Zielstrebigkeit, darf sich aber auch mal etwas herausnehmen, einen kühnen Trick probieren. Das funktioniert diese Saison hervorragend - auf der Schlussgeraden der Spielzeit könnte Graham Hansen einen so bleibenden Eindruck hinterlassen, dass man sie auf den Nominierungslisten für die großen Auszeichnungen gar nicht mehr übergehen kann.