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·2. November 2025

„Fankultur schützen – Hinterzimmerdeals stoppen!“

Artikelbild:„Fankultur schützen – Hinterzimmerdeals stoppen!“

Fankultur und Bürger*innenrechte. Letztere scheinen weltweit bedroht zu sein, Ersteres nun auch verstärkt in Deutschland. Worum es genau geht, erklären wir hier. Titelfoto: Stefan Groenveld

Eine Website zum Thema ist seit diesem Wochenende online, Zettel mit dem Inhalt des dort veröffentlichten Artikels wurden am Samstag auch beim Heimspiel gegen Borussia Mönchengladbach verteilt. Dort findet Ihr ausführliche Statements zum Thema, von der Braun-Weissen Hilfe, dem Fanladen, Fanclub-Sprecher*innenrat und Ultrà St. Pauli (USP).


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Im Kern geht es um Beschlüsse der Innenministerkonferenz, bei der Fans logischerweise kein Mitspracherecht haben. Auch die Sportschau (Ende Oktober) und das Abendblatt (€) berichteten bereits.

Wo und wann genau soll was entschieden werden?

Die 224. Sitzung der Innenministerkonferenz findet vom 3. bis 5. Dezember in Bremen statt, eine Vorkonferenz steigt Mitte November in Berlin. Hier könnte fortgesetzt werden, was seit den Beschlüssen der Innenministerkonferenz im Dezember 2024 in der BLoAG (Bundes-Länder offene Arbeitsgruppe) „Fußball ohne Gewalt“ vorbereitet wurde. Diese besteht aus je 1-2 Personen von DFB/DFL, 1-2 Personen der KOS (Koordinationsstelle Fanprojekte) und 5-10 Personen von Politik und Polizei. Die Mehrheitsverhältnisse kann man ja zumindest schon mal zur Kenntnis nehmen.

Eine direkte Einbeziehung von Fans fehlt, lediglich die KOS sollte zumindest die Sichtweise der Fanprojekte vertreten. Die Fanhilfen und andere Fangremien fehlen komplett. Die konkreten Beschlussvorlagen bleiben abzuwarten, Transparenz hierzu fehlt. Allerdings stehen wahrscheinlich die Themen Stadionverbote, Ticketpersonalisierung und Pyrotechnik auf der Agenda. Normalerweise gibt es hierzu bestehende und gut funktionierende Strukturen auf Basis des NKSS (Nationales Konzept Sport & Sicherheit), welche aber hier wohl keine Anwendung fanden, was zu fehlender Transparenz und dem Gefühl der in der Überschrift kritisierten „Hinterzimmer-Deals“ führt.

Frankfurter Kessel

Das Beispiel des letzten Wochenendes sollte allen zu denken geben, die bisher dachten „Mich betrifft das nicht.“ Die Frankfurter Polizei hatte sich entschieden, alle anreisenden St. Pauli-Fans eines bestimmten Zuges einer „erkennungsdienstlichen Maßnahme“ zu unterziehen, völlig unabhängig von einer individuellen Rechtfertigung (MillernTon). Ein St.-Pauli-Fan aus Hannover traf beispielweise erst nach Ende der Auseinandersetzungen auf dem Bahnsteig ein und fuhr in einem anderen ICE. Trotzdem wurde er in Frankfurt als Zeuge behandelt. Seine Personalien wurden aufgenommen, er wurde mehrere Stunden festgehalten und dann nach Hause geschickt.

„Auf Aufnahmen erkennbar während einer Choreo in unmittelbarer Nachbarschaft gestanden zu haben oder im selben Zug zu sitzen, wie Menschen, die das Polizeiinteresse geweckt haben, kann einem ein Ermittlungsverfahren und ein Stadionverbot einhandeln.„ Fanclub-Sprecher*innenrat der offiziellen Fanclubs des FC St. Pauli

Auch am im Zitat erwähnten Stadionverbot sind Änderungen geplant. Bereits bei Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gemäß §152 Abs. 2 StPO wäre dann zwingend ein Stadionverbot auszusprechen, wenn man den Ergebnissen der Unterarbeitsgruppe 1 „Zentrale Stadionverbotskommission“ folgt (Dokument liegt der Redaktion vor). Bisher gab es hier nur eine „soll ausgesprochen werden“-Empfehlung. Das Einleiten solcher Ermittlungen erfolgte zuletzt auch immer niedrigschwelliger, auch bisherige Lappalien wie das Verkleben von Stickern konnte jüngst bereits dazu führen. Ein bisher immerhin mögliches Aussetzen von Stadionverboten zur Bewährung soll gestrichen werden. Weil das alles noch nicht reicht, bleibt das Stadionverbot gemäß den ausgearbeiteten Ideen selbst bei einer Einstellung des Verfahrens für mindestens drei Monate bestehen. Unschuldsvermutung? Gewaltenteilung? Nö.

Und damit könnten zukünftig nun gegen alle Personen, die dort im Zug saßen und in Frankfurt als St. Pauli-Fan ausstiegen, nicht nur die erkennungsdienstliche Maßnahme verhängt werden, sondern auch drei Monate Stadionverbot. Ähnliche Szenarien sind bei Kontrollen auf Autobahn-Raststätten denkbar, wenn es in grober zeitlicher Nähe dort Auseinandersetzungen anderer Fans gegeben haben sollte. „Betrifft mich nicht“ könnte sich so noch viel häufiger als Fehlannahme herausstellen, als auch in der Vergangenheit ohnehin schon.

Fußballfans als Testballon

Es wäre nicht das erste Mal, dass an Fußballfans ausprobiert wird, was sich später auch in anderen Einsatzbereichen der Polizei anwenden lässt. Die Braun-Weisse Hilfe warnt daher zu Recht:

„Hier droht die Abschaffung rechtsstaatlicher Prinzipien. Angefangen mit einer Beweislastumkehr, bis hin zur de-facto-Abschaffung des Prinzips der Unschuldsvermutung. Grundrechtseinschränkungen, die wohl in kaum einem anderen Bereich politisch vermittelbar wären, werden hier durchgesetzt. Und wie so oft dient das Feindbild Fußballfan als Testobjekt, bevor solche Maßnahmen auch in anderen Bereichen Anwendung finden – etwa biometrische Überwachungstechnologien.„ Braun-Weisse Hilfe

Dies alles passiert zeitlich in einem Umfeld, in dem ausgerechnet die polizeieigenen Zahlen der ZIS (Zentrale Informationsstelle Sporteinsätze) dafür keinen Anlass bieten. In der abgelaufenen Saison gab es 22% weniger Ermittlungsverfahren, 17% weniger Verletzte – und all das, obwohl die Polizeieinsatzstunden zwar auch weniger wurden, allerdings nur um neun Prozent. Um festzustellen, dass Fußball im Stadion absolut sicher ist, muss man noch nicht mal irgendwelche Vergleiche zum Oktoberfest ziehen.

Ohnmachtserfahrungen statt Prävention

Offiziell sollen laut der Unterarbeitsgruppe 3 „Stadionallianzen & Prävention“ die Fanbeauftragten und Fanprojekte gestärkt werden. Hiervon war in den letzten Jahren nicht unbedingt viel zu spüren, fragt gerne nach beim Verein Jugend und Sport e. V., dem Träger der beiden Hamburger Fanprojekte, der gleichzeitig auch als VisdP (Verantwortlicher im Sinne des Presserechts) für das gestern verteilte Flugblatt fungiert. Auch der Fanladen äußert sich daher inhaltlich sehr klar:

„Ohnmachtserfahrungen zu vermitteln ist zentraler Bestandteil des Versuchs autoritärer Zurichtung und das Gegenteil aufgeklärter Erziehung zur Mündigkeit! Was für ein Bild von Prävention steckt hinter diesen Maßnahmen, die im Umgang mit überwiegend jungen Menschen nicht von Verantwortungsübernahme und Reflexion eigenen Verhaltens ausgehen, sondern sie zum Sicherheitsrisiko abstempeln?„ Fanladen St. Pauli (Fanprojekt)

Innenministerkonferenz: Andy Grote mit führender Rolle

Als Fan des FC St. Pauli ist es zudem sehr bitter (aber auch nichts Neues), dass Hamburg in Person des Innensenators Andy Grote sich hierbei prominent beteiligt, zumal Grote Vereinsmitglied beim FC St. Pauli ist. Hamburg nahm eine führende Rolle in der Arbeitsgruppe ein, die sich mit der Stadionsicherheit beschäftigt und unter anderem die jetzt zur Diskussion stehende Verschärfung bei den Stadionverboten anstrebt.Teil der aktiven Fanszene des FC St. Pauli ist er hingegen nicht, weshalb er diese Zeilen von USP vielleicht auch nur mit einem Lächeln zur Kenntniss nimmt:

„Die bunte, laute und kreative Fankultur, die wir seit Jahrzehnten als Fanszene hochhalten, und die die Grundlage unsers Vereins und seiner Besonderheit ist, ist mit den aktuell geplanten Maßnahmen so massiv gefährdet wie nie zuvor. Populistische Forderungen aus der Politik, die ohne Kenntnisse der Fußballfankultur und nur zum Zweck der Wiederwahl angegangen werden, zerstören unser aller Idee von Fußball und solidarischer Gemeinschaft. Kollektive Strafen, personalisierte Tickets und Stadionverbote ohne abgeschlossenes Verfahren würden dazu führen, dass die Kurven in wenigen Jahren verstummen, grau und seelenlos wie in England sind – und das betrifft uns alle.„ Ultrà St. Pauli

(Un)Willkommene Bärendienste

Auch klar: Wenig hilfreich ist es natürlich, wenn man Polizei und Politik dann aktuell die Bilder liefert, auf die sie wahrscheinlich gerade nur warten, um die eigenen Repressionen leichter verkaufen zu können. Sei es das Scharmützel am Hannoveraner Bahnhof zwischen St. Pauli-Fans und Wolfsburgern oder ähnliches am Samstag zwischen Dortmund und Schalke.Auch im Berliner Olympiastadion gab es Samstag beim Spiel der Hertha gegen Dresden entsprechende Bilder, eine durchgesetzte Sektorentrennung war dort erstaunlicherweise nicht zu sehen. Die Herthaner Fanhilfe deutet in ihrem Bericht vom Spiel an, dass dies der Polizei wohl durchaus recht war:

„Beachtlich sind in diesem Zusammenhang Aussagen einzelner Einsatzkräfte wie „im Stadion greifen wir nicht ein, lass die heute machen”. Damit steht der Vorwurf der gezielten Tatprovokation durch die Polizei im Raum.“ Fanhilfe Hertha BSC

Spannend wird nun, wie sich die nächsten Wochen entwickeln. Sowohl in den Kurven, als auch in der medialen Berichterstattung. Die eingangs verlinkten Artikel aus Sportschau und Abendblatt deuten zumindest schon mal an, dass es für die Polizei nicht mehr ganz so einfach ist wie früher, mittels eigener Darstellung die alleinige Deutungshoheit in allen Medien zu besitzen. Umgekehrt rollt die Kommunikationswelle der Fanszenen gerade erst an.Die nächsten Wochen bis zur Innenministerkonferenz dürften auch in den Stadien noch interessant werden. Aus mehrfacher Hinsicht.// Maik

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