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·4. November 2025

Harmlos, anfällig, kein Team – die Probleme des FC St. Pauli

Artikelbild:Harmlos, anfällig, kein Team – die Probleme des FC St. Pauli

Offensiv ungefährlich, defensiv löchrig, Abstimmung ausbaufähig – die Liste der Probleme beim FC St. Pauli ist lang. Es muss schleunigst eine Wende her.(Titelfoto: Stefan Groenveld)

Wie wichtig die Partie des FC St. Pauli gegen Borussia Mönchengladbach nicht nur für die Tabelle, sondern besonders für die Köpfe ist, war bereits vor, aber insbesondere nach Abpfiff zu erkennen. Denn gefühlt wurde während des Spiels der Abstieg aus der Bundesliga besiegelt. Und mit jedem der vier Gegentreffer stieg der FC St. Pauli eine weitere Liga ab.


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Nun mag zu Recht eingeworfen werden, dass sich der FC St. Pauli mit der Leistung von Samstag auch in der Oberliga Gegentreffer gefangen hätte. Aber aktuell spielt er eben in der Bundesliga. Ein Zwangsabstieg aufgrund der Leistung gegen Mönchengladbach gibt es nicht. Es ist sogar gerade einmal etwas mehr als ein Viertel der Saison rum, also noch mehr als genug Zeit, um Dinge (doch) noch (wieder) in die richtige Richtung zu drehen. Aber was führt dazu, dass das Team defensiv anfälliger ist als in der Vorsaison? Wo ist die offensive Power des Saisonbeginns hin? Und wie ernst ist die Lage?

Leistungen wie ein Absteiger = die Lage ist ernst

Die letzte Frage lässt sich am einfachsten beantworten, wenngleich sie sich aufgrund der Antworten auf die ersten beiden Fragen zusammensetzt: Ja, die Lage ist sehr, sehr ernst. Wenn es darum geht, den Klassenerhalt in der Bundesliga zu schaffen, dann sind sieben Punkte nach neun Spielen zu wenig. Der FC St. Pauli hat ein bereits solides Polster erst verspielt und wird aktuell durchgereicht. Mit sechs Niederlagen in Serie ist man das formschwächste Team der Bundesliga und innerhalb dieser Serie sind die Leistungen auch immer schwächer geworden.

Also ja, die Lage ist ernst. Nicht, weil sofort Punkte hermüssen oder sonst die Lichter bereits vor Weihnachten ausgehen. Aber die Dynamik der Entwicklung ist alles andere als gut. Sie nachhaltig wieder ins Positive zu drehen, dürfte alles andere als einfach und schnell erledigt sein – und daher müssen jetzt so zeitnah wie möglich die richtigen Schritte eingeleitet werden.Nur was sind eigentlich die „richtigen Schritte“? Um das zu verstehen, ist ein tiefer Blick auf den IST-Zustand notwendig. Den machen wir jetzt.

Offensive Harmlosigkeit

Auffällig ist die extreme Harmlosigkeit des FC St. Pauli vor dem gegnerischen Tor. Nachdem es zu Saisonbeginn sieben Treffer in den ersten drei Spielen gab, folgte in den sechs letzten Bundesliga-Spielen nur noch ein magerer Treffer. Und dieser fiel, wie auch die beiden Treffer im Pokal gegen Hoffenheim, aus einer Eckball-Situation. Auch die beiden Treffer gegen Augsburg fielen aus Standardsituationen. Seit Ende August(!) wartet der FCSP auf einen Treffer aus dem Spiel heraus. Damals traf Hountondji im Derby.

FC St. Pauli wartet seit August auf einen Treffer aus dem Spiel heraus

Dass der FC St. Pauli nur wenig Torgefahr ausstrahlt, ist nicht neu. Auch in der Vorsaison war die Offensive nicht unbedingt ein Prunckstück. Nun ist das Team immerhin nach Standardsituationen deutlich stärker geworden. In Sachen Torgefahr aus dem Spiel heraus gelingt aber seit Wochen erschütternd wenig. Rechnet man den durchschnittlichen xG-Wert der ersten drei Ligaspiele heraus (2,2 pro Spiel), dann liegt dieser bei 0,8 pro Partie – womit der FCSP weit abgeschlagen Ligaschlusslicht ist.

Interessant ist, dass es zur Beschreibung der Offensivgefahr des FC St. Pauli genau diesen Blick in die tieferen Zahlen benötigt. Denn gegen Mönchengladbach lautete das Torschuss-Verhältnis 14:14, gegen Frankfurt 10:10, gegen Hoffenheim 12:13 und gegen Werder 12:14 – das sieht nach ausgeglichenen Verhältnissen aus. Doch das ist weit gefehlt, wie die xG-Werte zeigen. Es stellt sich daher die Frage, wie es sein kann, dass der FCSP meist genau so oft zu Torabschlüssen kommt, die xG-Werte aber deutlich niedriger sind. Das liegt an den Abschlusspositionen: Die durchschnittliche Distanz der Abschlüsse zum gegnerischen Tor lag in den ersten drei Ligaspielen bei 17,8 Metern. Die der letzten sechs Spiele bei 20,5 Metern. Klingt nach nicht so viel, ist es aber – die der Gegner liegt bei 17,6. Nur der FC Augsburg (48,2 Prozent) hat einen höheren Anteil an Abschlüssen von außerhalb des Strafraums als der FC St. Pauli: 47,6 – der Wert ist höher als in der Vorsaison. Nur drei weitere Clubs der Bundesliga haben überhaupt einen Wert von über 40 Prozent.

„Shots from outside the box kind of suck“

Dem FC St. Pauli gelingt es also nicht, sich regelmäßig in gute Abschlusspositionen zu spielen. Wie wichtig das wäre, zeigt eine der Analyse von Michael Caley, der aufzeigt, dass in 75 Prozent der Abschlüsse von außerhalb des Strafraums der gegnerische Torhüter nicht einmal eingreifen muss und dazu schreibt: „Shots from outside the box kind of suck.“Warum also so viele Schüsse von außerhalb des Strafraums? Die Gründe dafür sind vielfältig: „Wir müssen schneller spielen, müssen mehr verlagern, besser in die Box kommen und Bälle präziser bringen“, erklärte Hauke Wahl kurz nach Abpfiff der Niederlage gegen Mönchengladbach. Fangen wir mit den letzten beiden dieser Forderungen an.

Artikelbild:Harmlos, anfällig, kein Team – die Probleme des FC St. Pauli

Zu oft sah das Ende der Angriffsbemühungen des FC St. Pauli in den letzten Ligaspielen so aus, wie auf diesem Foto.

Der FC St. Pauli legt in dieser Saison einen Fokus auf Flanken. Pro Spiel sind es bisher 17,5, in der Vorsaison waren es 13,1 – es ist also eine deutliche Veränderung zu erkennen. Flanken sind an sich nicht das beste Mittel, um zum Erfolg zu kommen. Weil die Erfolgsquote so gering ist: Nur eine von 64 Flanken führt direkt zu einem Tor, mehr als drei Viertel der Flanken haben als Resultat gegnerischen Ballbesitz. Das sorgt dafür, dass viele Teams in den letzten Jahren immer weniger Flanken schlugen. Der FCSP stellt hier eine Ausnahme dar, schlägt in dieser Saison bisher die zweitmeisten Flanken der Bundesliga.Wenn so ein Fokus auf Flanken gelegt wird, dann müssen die sitzen. Wie erfolgreich Flanken sind, hängt von den Dingen ab, die Hauke Wahl erwähnte: Box-Besetzung und Präzision. Beides ist beim FC St. Pauli ausbaufähig. Denn zwar schlägt das Team die zweitmeisten Flanken, hat aber mit 24,1 Prozent die zweitschlechteste Erfolgsquote (hinter Leverkusen, bei denen das mit 7,5 Flanken pro Partie nur ein absoluter Notnagel ist). Es ist eine Statistik, die wir auch auf subjektiver Basis im Stadion sicher so bereits erkannt haben: Die Flanken sind einfach zu oft nicht gut.

Flanken, Flanken, Flanken, Flanken, Flanken, Flanken, Flan…

Und wenn sie gut sind, dann fehlt es im Strafraum oft an Mitspielern. „Box-Besetzung“ ist einer der Begriffe, den Alexander Blessin am häufigsten in den Mund nimmt, wenn er über die Offensive redet. Und das leider, weil sie zu oft mangelhaft ist, weil es zu oft an Spielern dort fehlt oder diese nicht gut positioniert sind. Aber es fehlt auch an der Qualität der Abnehmer. Denn zwar schlägt der FC St. Pauli viele Flanken, aber es fehlt ein klassischer Zielspieler im Zentrum, ein physischer Mittelstürmer, wie es die Kanes, Tabakovićs und Guirassys sind. Nach dem ersten Spieltag samt Kopfball-Treffer von Hountondji, hätte man denken können, dass der FCSP diese Lücke im Kader geschlossen hat. Doch trotz der zweitmeisten Flanken (Achtung: Da zählen nicht nur, aber zumeist hohe Flanken rein) hat der FC St. Pauli bisher erst fünf Torabschlüsse per Kopf zustande gebracht, was Platz 18 in der Bundesliga bedeutet.Das haben die Verantwortlichen beim FC St. Pauli aber natürlich auf dem Zettel. Blessin erklärte bereits vor einigen Wochen genau, wie er die Flanken haben möchte: Die sollen nämlich flach zwischen gegnerischen Innenverteidiger und Torwart hineinkommen. Das passiert aber viel zu selten – und wenn, dann ist da leider niemand im FCSP-Trikot, die Box-Besetzung ist zu oft ungenügend.

Auffällig ist zudem, dass der FC St. Pauli in Sachen Flanken für den Gegner sehr ausrechenbar sein dürfte. Von den 174 Flanken wurden nämlich nur 58 von der linken Seite geschlagen. Fast doppelt so viele kamen von der rechten Seite. Louis Oppie kommt also deutlich seltener zur Flanke als Manos Saliakas und Arkadiusz Pyrka. Diese Rechtslastigkeit des FCSP-Spiels ist kein neues Problem, sie war zum Beispiel schon beim Spiel in Bremen auch ein Thema für Alexander Blessin. Die Zahlen sind eindeutig: Der FC St. Pauli spielt 43 Prozent seiner Angriffe über die rechte Seite (30 Prozent durch die Mitte, 27 über links) – das ist der Höchstwert in der Bundesliga. Und es hilft dem Gegner vermutlich dabei, sich gut auf den FCSP vorzubereiten.

Tempo im Kader bleibt ungenutzt

Viele (erfolglose) Flanken, viele (erfolglose) Abschlüsse außerhalb des Strafraums – warum macht der FC St. Pauli das? Weil es ihm aktuell nicht gelingt, in bessere Abschlusspositionen zu kommen. Aber sicher auch, weil man sich mehr vom Gegenpressing erwartet hat, sich erhoffte, dass der FC St. Pauli häufiger die zweiten Bälle im Angriffsdrittel gewinnen kann (das ungewohnt schwache Gegenpressing zähle ich zum Thema „fehlende Bereitschaft“ dazu, später mehr). Die vielen Flanken und schlechten Schusspositionen hängen sehr direkt mit den Skills der Spieler zusammen und mit der Spielweise. Die ist nämlich einfach nicht so vertikal und schnell, wie man es sich vermutlich wünscht. Mehr Tempo im Offensivspiel des FC St. Pauli sollte eigentlich die große Entwicklung zu dieser Saison werden. Mit Spielern wie Kaars, Hountondji, Pereira Lage, Jones und sogar Fujita wurden Spieler ans Millerntor geholt, die mit ihren Skills extrem gut zu einem auf Tempo fokussierten Fußball passen. Diesen aber gab es beim FCSP bisher nur selten zu sehen, das Team spielte zu oft nicht vertikal und nicht schnell genug. Auch das sind Themen, die Alexander Blessin immer wieder auch öffentlich anspricht.

Der FC St. Pauli fällt zu oft in Muster zurück, die noch zu Zweitligazeiten antrainiert wurden. Blessin verglich die Offensivbemühungen des Teams gegen Mönchengladbach mit „Handball“ („Wir spielen uns tot.“), wünschte sich direkteren Fußball. Auch Hauke Wahl erklärte, dass das Team „schnelleren Fußball“ spielen müsse. Das Aufbauspiel mit der Dreierreihe Wahl-Smith-Mets aus dem Gladbach-Spiel erinnerte aber eher an Zweitligazeiten, als der FCSP noch ball-dominant auftreten wollte und konnte. Ein vertikaleres Spiel, so wie es sich Blessin wünscht und so wie der Kader auch umgebaut wurde, würde sicher mehr Ballverluste bedeuten, aber zumindest in meiner Theorie könnte es dazu führen, dass die zweifelsohne temporeichen Offensivspieler des FC St. Pauli öfter den Raum bekommen, der am besten zu ihren Fähigkeiten passt. Zuletzt spielte der FCSP offensiv aber einen Fußball, der überhaupt nicht zu den eigenen Fähigkeiten und zur Qualität in der Liga passt.

Defensive Anfälligkeit

Um Vorteile für die Offensive zu bekommen, wäre es sehr wichtig, wenn der FC St. Pauli nicht ständig in Rückstand geraten würde. Denn offensive Umschaltmomente kann das Team vor allem dann generieren, wenn der Gegner seinerseits nicht primär das eigene Tor verteidigen möchte. Das ist in der Bundesliga bei eigener Führung nahezu immer der Fall, weshalb die defensive Anfälligkeit des FC St. Pauli auch ein sehr direktes Problem für die eigene Offensive ist. Nachdem das Team in der Vorsaison dank der zweitwenigsten Gegentreffer aller Bundesligisten in der Liga blieb, stehen nun bereits 18 Gegentreffer in den Büchern. Erst einmal gelang es, die Null zu halten. Wo ist sie hin, die defensive Stabilität?

Wenig zugelassen – aber wenn, dann mit hoher Torwahrscheinlichkeit

Auch hier gilt erneut, dass der oberflächliche Blick auf die Zahlen ein verfälschtes Bild zeichnet. Denn der FC St. Pauli lässt ligaweit die drittwenigsten Torschüsse zu (nur Bayern München und Borussia Dortmund lassen weniger zu). Doch die Güte der Chancen, die der FCSP zulässt, ist sehr hoch. Der durchschnittliche xG-Wert pro gegnerischem Torschuss liegt bei 0,16 (also einer 16-prozentigen Torwahrscheinlichkeit) – das ist mit Abstand der Höchstwert der Bundesliga. Die Werte schwanken in dieser Saison bisher zwischen 0,11 und 0,14. Der des FCSP ist ein deutlicher Ausreißer, denn seit Beginn der Aufzeichnung durch WyScout (Saison 15/16) hatte noch nie ein Club über die Saison betrachtet einen höheren Wert als 0,15. Der FC St. Pauli mag also wenig Abschlüsse zulassen, aber wenn, dann sind es oft große Chancen für den Gegner, die dieser auch zuverlässig für sich nutzt.

Wie kommt es, dass sich Gegner so gute Chancen gegen den FC St. Pauli erspielen? Das Team hat sich in der Vorsaison oft in ein tiefes 5-4-1 zurückgezogen. Etwas zu tief, um offensiv öfter gefährlich zu werden, aber in dieser Formation fand sich das Team gut zurecht, es fand die oft gepriesene Kompaktheit. Genau diese ist aktuell kaum noch vorhanden. Der FC St. Pauli kann in allen Mannschaftsteilen von den Gegnern zu leicht geknackt werden, wird vorne zu leicht überspielt, Gegner kommen leicht in die gefährlichen Räume vor der Fünferkette des FCSP und dahinter gelingt es zu oft nicht, die Tiefenpässe des Gegners zu verteidigen. Eric Smith bezeichnete das als „Rezept für ein Desaster“ und dem kann ich nur zustimmen. Die fehlende Kompaktheit ist ein Symptom des wohl größten Problems, welches der FCSP aktuell hat.

Zusammengehörigkeitsgefühl fehlt

Denn es gelingt einfach nicht, dass alle Spieler an einem Strang ziehen. Blessin erklärte nach dem Gladbach-Spiel: „Wir hatten verschiedene Denkweisen, was Kompaktheit angeht, wann wir pressen, wann wir rausschieben.“ Der FC St. Pauli ist aktuell auf dem Platz nicht das geschlossene Team, das er sein möchte. Eric Smith wurde nach Abpfiff gegen Mönchengladbach deutlich: „Wenn wir damit anfangen, auf dem Platz Dinge zu tun, die wir so nicht besprochen haben, dann werden wir eine extrem schwere Zeit in dieser Liga haben.“ Doch auch, wenn es so deutlich gesehen werden und im Anschluss auch benannt werden kann, so dürfte es sich hier um eine der schwierigeren Aufgaben handeln. Blessin erklärte, dass man das „Zusammengehörigkeitsgefühl“ schnellstmöglich wiederbekommen müsse. Aber wie ist es überhaupt abhanden gekommen?

Denn eigentlich sollte doch ziemlich klar sein, wofür der FC St. Pauli steht, welchen Fußball er spielen kann und will – und welche Ziele er erreichen möchte. Wenn Eric Smith aber nach der 0:4-Niederlage sagt: „Wir müssen verstehen, dass wir kein Top3-Team in der Liga sind“ und Blessin erklärt, dass man mit den Neuzugängen schon „einige Gespräche genau darüber geführt hat, was unser Auftrag ist, was wir erreichen wollen und was unsere Zielsetzung ist“, dann wird deutlich, dass es innerhalb des Teams wohl an einem Grundkonsens mangelt. Und es benötigt nicht viel, um sich anhand dessen vorstellen zu können, wie sich so etwas negativ auf den Fußballplatz auswirken kann, Stichwort „Bereitschaft“. Zudem ist diese fehlende Einheit auf dem Platz auch etwas, was man sehr gut auf den Rängen spürt, was für die Beziehung zwischen Team und Fans sicher nicht zuträglich ist.

Artikelbild:Harmlos, anfällig, kein Team – die Probleme des FC St. Pauli

Die Herren Blessin, Bornemann und Németh werden in dieser Woche sicher etwas mehr Gesprächsbedarf haben, um den FC St. Pauli wieder in die Erfolgsspur zu führen.

Hat der FC St. Pauli eine „kaputte Kabine“?

Wenn es um Themen wie fehlende Bereitschaft und fehlendes Zusammengehörigkeitsgefühl geht, dann liegen Fragen nach der Situation in der Kabine auf der Hand. Wie genau dort die Stimmung ist – keine Ahnung. Wie groß der Einfluss von Ereignissen abseits des Platzes auf die Kabine ist – keine Ahnung. Timo Schultz erklärte bei uns im Podcast mal in Bezug auf die Einflussmöglichkeiten von Themen abseits des Platzes auf die Stimmung in der Kabine und die Leistungen auf dem Platz, dass man Spielern kein Alibi ermöglichen darf, hinter dem sie sich im Falle des Misserfolgs verstecken können. Aber er erklärte auch, dass es teilweise Dinge gibt, die sich tatsächlich ziemlich direkt auf die Leistungsfähigkeit auswirken und nicht nur als Alibi genutzt werden können. Ob das beim FC St. Pauli der Fall ist – keine Ahnung. Sicher ist aber, dass Spielern und Teams im Formtief keine Alibis auf dem Silbertablett serviert werden, zeitgleich aber diese auch als solche entlarvt werden sollten.

Sicher ist auch, dass eine „kaputte Kabine“ einem Club wie dem FC St. Pauli besonders schaden kann. Denn die eigene Spielweise basiert eben darauf, dass maximal viel investiert wird und man als Team auf dem Platz zusammensteht. Nur so können qualitative Defizite kaschiert oder sogar wettgemacht werden. Das Team des FC St. Pauli war in der Vorsaison stärker als die Summe seiner Einzelteile. Die letzten Partien dieser Saison haben jedoch klar aufgezeigt, wie es um die Qualität bestimmt ist, wenn der FCSP nicht als Team auftritt. Und während man offensive Harmlosigkeit mit defensiver Qualität ausgleichen kann (auch andersherum), so ist fehlendes Zusammengehörigkeitsgefühl etwas, was nicht anderweitig ausgeglichen werden kann. Im Fall des FC St. Pauli dürfte es auch ziemlich sicher den Abstieg bedeuten, wenn dieses Thema nicht in den Griff bekommen wird.

Gefangen in Negativschleife

Und das möglichst schnell. Denn Erfolg und Misserfolg im Fußball sind oft Teil einer Rückkopplungs-Schleife. Je länger der Erfolg andauert, umso einfacher kommt er. Das konnten wir jahrelang beim FC St. Pauli beobachten. Nun scheint das Team in einer negativen Schleife gefangen zu sein. Misserfolg sorgt für weiteren Misserfolg. Spätestens beim zweiten Gegentreffer im Spiel gegen Mönchengladbach, als die Köpfe der FCSP-Spieler auf Halbmast unterwegs waren, war klar, dass das nichts werden würde mit einem Punktgewinn. Negative Erlebnisse in Serie sorgen dafür, dass es schwerer wird, daraus auszubrechen. Es ist ein vermeintlich weicher Faktor, aber im Fußball ein extrem wichtiger: Sobald der Glaube an möglichen Erfolg fehlt, bleibt dieser auch häufiger aus. Weil unter anderem die Bereitschaft fehlt, über die eigene Grenze hinauszugehen. Klingt nach „LinkedIn-Postings“ von Möchtegern-Philosoph*innen, ist aber ein wissenschaftlich gut untersuchtes Phänomen (unter anderem von La Fratta et al., 2021).

Dem FC St. Pauli müssen also nun viele Dinge gleichzeitig gelingen: Das Team muss unbedingt wieder zusammenfinden, an einem Strang ziehen. Nicht nur, aber vor allem, was die Defensivarbeit angeht. Das Team muss offensiv deutlich effizienter werden, aber auch den offensiven Spielstil hinterfragen und diesen gegebenenfalls anpassen. Und das Team benötigt total dringend Erfolgserlebnisse. Das sind allesamt Themen, die ziemlich genau in den Aufgabenbereich von Cheftrainer Alexander Blessin fallen. (Edit: Falls das in diesem Text noch nicht deutlich geworden ist: Blessin ist sich dessen bewusst, nahm nach dem Spiel kein Blatt vor den Mund und wirkte hochmotiviert an der aktuellen Situation etwas zu ändern.) Entsprechend laut wurde nach Samstag auch die Kritik an seiner Person.

Es muss sich etwas verändern

Denn die Themen ploppten nicht erst jetzt nach der Niederlage gegen Mönchengladbach auf. Sie bestehen schon länger. Sogar während der FC St. Pauli extrem gut in die Saison gestartet war, mahnte Hauke Wahl an, dass das Team defensiv noch nicht perfekt aufeinander abgestimmt sei. Daran hat sich seitdem nichts geändert. Im Gegenteil: Man wird den Eindruck nicht los, dass es in Sachen Abstimmung eher sogar etwas nachgelassen hat. Blessin ist die Feinjustierung bisher nicht gelungen, warum auch immer. Genau so wenig ist es gelungen, die hohe Anzahl an individuellen Fehlern abzustellen. Dieses Abstellen der groben Fehler war in der Vorsaison ein entscheidendes Detail, um nach schwachem Saisonstart noch die Klasse zu halten, wie Blessin im Interview mit der 11Freunde (€) erklärte. Nun stört er sich zu Recht daran, dass die Fehler immer wiederkehren, konnte aber bisher auch selbst nicht dafür sorgen, dass sie abgestellt wurden.

Die Saison ist noch lang. Lang genug, um aufgrund der aktuellen sportlichen Situation des FC St. Pauli nicht in komplette Panik auszubrechen. Dafür steht das Team in der Tabelle auch nicht so schlecht da. Aber was Sorgen bereitet, ist gar nicht so sehr die Tabelle, es sind die Leistungen auf dem Platz. Der FC St. Pauli mag vielleicht ein individuell besser besetzten Kader haben als noch in der Vorsaison. Aber es ist noch nicht gelungen, diesen zu einem funktionierenden Team zu formen. Warum das bisher noch nicht gelungen ist, muss zeitnah herausgefunden werden. Sollte das bereits passiert sein, dann ist womöglich konsequentes Handeln notwendig. Denn auch wenn die Saison noch lang ist, so kann sich der FC St. Pauli nicht erlauben, einem großen Punkterückstand hinterherzulaufen. Denn es ist sehr unwahrscheinlich, dass der FCSP selbst bei optimalem Verlauf plötzlich überdurchschnittlich punktet und so einen Rückstand wettmachen kann. Es sollte bereits gegen Freiburg zumindest erkennbar sein, dass es in die richtige Richtung geht. Sonst… puuh… ja, so ernst ist die Situation.// Tim

Sofern nicht anders markiert, stammen sämtliche Statistiken von Wyscout.

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