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·10 August 2025

Enzo Millot: Der Filou, der mit dem Ball tanzt

Article image:Enzo Millot: Der Filou, der mit dem Ball tanzt

In seiner Zeit beim VfB verzieh ich Enzo Millot fast alles. Dass er jetzt nach Saudi-Arabien wechselt zu Al-Ahli SFC kann ich (sportlich) nicht nachvollziehen.

Wenn es nach Ex-Trainer Bruno Labbadia ginge oder nach kicker-Redakteur George Moissidis wäre Millot nie französischer U21-Kapitän, Olympia-Silbermedaillen-Gewinner und Unterschiedspieler beim VfB geworden. Er säße entweder beim VfB auf der Bank oder wäre in die holländische oder belgische oder zweite französische Liga verliehen worden, weil er manchmal ein (liebenswerter) Filou ist und sich seine Hosen viel zu weit nach oben schob.


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Nach zwei herausragenden Jahren – sein wahrer Aufstieg begann mit dem Einstieg von Sebastian Hoeneß – interessierten sich Atletico Madrid, Tottenham Hotspurs und Galatasary Istanbul für ihn. Standesgemäße Adressen, die für uns zu seiner Ambition passen, den nächsten Schritt zu gehen – sportlich gesehen. Da der türkischen Liga die Qualität fehlt und bei Atleti nicht Fußball gespielt, sondern gekämpft wird (hätte Millot wahrscheinlich sogar gut getan), hätte ich die Spurs favorisiert. Dort hätte sich Enzo in der besten Liga der Welt zeigen können und hätte sich so womöglich für die ganz großen Adressen ins Schaufenster gestellt.

Jetzt wird Millot in der saudischen Pro League ganz sicher den nächsten Schritt machen – finanziell gesehen. Was im übrigen auch dem VfB entgegen kommt: Die Ausstiegsklausel gilt nicht für Saudi Arabien. Die Transfersumme wurde neu verhandelt und soll dem Vernehmen nach bei knapp 30 Millionen liegen.

Das ist immer noch unter seinem Marktwert, den er sich in den letzten zwei Jahren erspielt hat. Er hatte seinen eigenen Kopf und konnte diesen nach einer gewissen Anlaufzeit gewinnbringend für den VfB einsetzen. Millots Laufwege blieben trotzdem lange unergründlich. Irgendwo zwischen Mittelfeld und Angriff, meist auf der rechten Angriffseite des VfB. Wohin genau der flinke Franzose dribbeln und passen würde, daran mussten sich seine Mitspieler gewöhnen und seine Trainer verfolgten dies skeptisch. Bis Hoeneß den Wert von Millot erkannte. Der eigenwillige Mittelfeldspieler zahlte es sofort zurück: mit dem entscheidenden Treffer im Pokal-Viertelfinale gegen Nürnberg, mit zwei Toren im Relegations-Rückspiel gegen den HSV und final(!) mit zwei Toren in Berlin zum Pokalsieg.

Als Neunzehnjähriger kam er 2021 vom AS Monaco zum VfB und hatte keinen einfachen Start, “da ich mich früh verletzt habe und zweieinhalb Monate ausgefallen bin. Zudem musste ich mich erst an die Unterschiede der deutschen Kultur gewöhnen.“

Geholt wurde er vom damaligen Sportdirektor Sven Mislintat, der ihn für kolportierte 1,75 Millionen Euro für vier Jahre an den Neckar lotste. Peak Diamantauge!

Er wurde anfangs „als zahnloser Edeltechniker, als Sinnbild einer verkorksten Transferstrategie“ bezeichnet, als schlampiges Genie, als elegant und extravagant zugleich. Sport-Vorstand Fabian Wohlgemuth nannte ihn „dagegen einen unserer Leistungsmotoren“, Hoeneß schwärmte sogar: “Der Junge ist gesegnet mit außergewöhnlichen Qualitäten, wirklich unglaublich“.

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So etwas wie der Durchbruch von Enzo: Sein 1:0-Siegtreffer im Pokal-Viertelfinale in Nürnberg.

Denn der Junge traute sich was, weil er mit viel Selbstvertrauen spielte. Und er brauchte das Vertrauen vom Trainer, das ihm Hoeneß schenkte. Enzo Millot verfügt über große Qualitäten, “mit seiner Art, zwischen den Linien aufzudrehen und gute Entscheidungen zu treffen“ (Hoeneß). Der 23-jährige kann kämpfen, das übersehen viele. Er läuft viel, wirft sich in Zweikämpfe, bleibt in direkten Duellen mit seiner Aggressivität robust und unnachgiebig. Mittlerweile hat er die Balance gefunden zwischen Mut und Übermut, bleibt aber dennoch unberechenbar für den Gegner.

Nach vier Jahren haben sich die Bezeichungen für Millot geändert: Der kreative Giftzwerg, der kleine Prinz, Millot magnifique, “er trägt die 8, obwohl es die 10 sein müsste“ und wir machten ihn zu einem Bestandteil des magischen Dreiecks 2.0. “Seine Pässe, die einmal wie mit dem Lineal gezogen wirken, eine anderes Mal wie mit der Präzision eines Zirkels gespielt sind, bilden magischen Formeln, um Angreifer in optimale Positionen zu bringen.“

Das Spiel mit Millot war stets ein anderes. Ich liebte seinen federnden Schritt und seinen Tanz mit Ball. Er umarmte ihn mit seinem unglaublichen linken Fuß. Er führte ihn anmutig und zärtlich, bei Dribblings klebte er ihm am Fuß und es war unübersehbar, wie tief die Verbindung von Millot und dem Ball ist. Enzo und der Ball: ein schönes Paar.

Seine Laufwege oft Kunstwerke, seine Ballgewinne diebisch und mühelos zugleich, seine Pässe manchmal so dekadent wie ein Gedicht von Moliére. Millot sah das Spiel, bevor es geschah. In seinem Kopf entstanden Räume, bevor sie sich auf dem Rasen öffneten. Millot spielte mit Raum und Zeit. Seine Tore wirkten oft wie beiläufig, manchmal wie eine natürliche Konsequenz aus einem vorangegangenen Spielzug (siehe Hoffenheim 2024).

Er sagte 2023 der Stuttgarter Zeitung. „Ich möchte sehr gerne einmal in der Champions League spielen, vor allem aber mit der französischen Nationalmannschaft an einer Weltmeisterschaft teilnehmen. Das ist mein Traum“.

Mit dem Wechsel zu Al-Ahli SFC wird das schwer. Die WM 2026 scheint im Moment unerreichbar. So weit zu gehen, dass er seine Karriere wegwirft, würde ich nicht gehen. Aber es besteht durchaus die Gefahr, dass er es sich in der drittklassigen saudischen Pro League gemütlich macht und sein Talent für viel Geld verschwendet. Oder es ist nur eine Zwischenstation zu seinem wirklichen Traum: Paris St. Germain. Dort ist im Moment kein Platz für ihn. Ob dies in Zukunft so sein wird, darf bezweifelt werden.

Millot bestritt für den VfB 110 Pflichtspiele, in denen er 19 Tore schoss und 17 Assists gab – der schönste vermutlich die Vorlage für El-Bilal zum 4:1 im Heimspiel gegen Dortmund. Es war eine Freude, ihn im Trikot mit dem Brustring zu erleben. Denn es war stets ein Erlebnis, ihn zu sehen.

Merci pour tout, Enzo, et à bientôt en Champions League, j’espère!

Zum Weiterlesen: Die Süddeutsche Zeitung sieht überhaupt nicht, dass Millot seine Karriere wegwirft, sondern meint: „Mit 23 nach Saudi-Arabien? Ja, warum denn nicht?“ und argumentiert, dass Al-Ahli SFC nur ein kalkulierter Zwischenstep sei und er nach der Ansammlung von Reichtümern in absehbarer Zeit in die europäischen Ligen zurückkehren würde.

Zum Nicht-Weiterlesen: Ich weiß nicht, ob Ihr es mitbekommenen habt. In einem Medien-eigenen Podcast unterhalten sich zwei Profilneurotiker und tauschen ihre hochspekulativen Meinungen aus. Aus diesen persönlichen und stark Bayern-gefärbten Einschätzungen werden dann Schlagzeilen gemacht wie “Woltemade-Frist kassiert” und “Millot wurde Bayern angeboten, es gab aber Bedenken zu Charakter und Einstellung”. Auch wenn alle davon abschreiben: Nichts davon entspricht den Tatsachen.

Bilder: Christian Kaspar-Bartke/Getty Images (Aufmacher), Alexander Hassenstein/Getty Images (Artikelbild)

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