
Rund um den Brustring
·14 septembre 2025
Satt und bequem

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·14 septembre 2025
Einmal mehr stellt der VfB nach einer Führung in Freiburg den Spielbetrieb ein und bekommt spät, aber verdient die Quittung gegen den Europa-League-Mitbewerber. Sich mit knappen Führungen zufrieden zu geben, scheint der Mannschaft mittlerweile in Fleisch und Blut übergegangen zu sein.
Erinnert Ihr Euch noch, wann ihr bei unserer Mannschaft im Brustring das letzte Mal das Gefühl hattet, sie sei sich der Brisanz ihrer Situation nicht nur bewusst, sondern auch gewillt, ihr Schicksal in die eigene Hand zu nehmen? Richtig, es war nach der kreuzdummen späten Heimniederlage gegen Heidenheim, durch die nicht nur der Rückstand auf Platz 6 auf fast uneinholbare sieben Punkte anwuchs, sondern auch ein erfolgreiches Pokalfinale gegen den Drittligisten aus Bielefeld in Gefahr zu raten drohte. Es folgten ein dreckiger Sieg auf St. Pauli, ein Schützenfest gegen Augsburg und ein erkämpftes 3:2 in Leipzig, bevor sich die Mannschaft im Pokalfinale über weite Strecken effektiv und kaltschnäuzig zeigte. Nachdem man monatelang Punkt um Punkt leichtfertig verspielt hatte, ging der Arsch so hart auf Grundeis, dass man sich endlich der eigenen Stärken und Qualitäten besann.
Umso erschreckender, was Kapitän Atakan Karazor nach dem 1:3 in Freiburg zu Protokoll gab — einem Spiel, das fast genauso lief wie das letzte Spiel im Breisgau: “Es ist, als hätten wir nichts aus der Vergangenheit gelernt. Als ob wir nicht diese Erfahrungen gemacht haben, auch wenn wir eine junge Truppe sind.“ Schon vor ziemlich genau einem Jahr, zum Auftakt der vorherigen Saison, ließ man sich vom feinen Füßchen Ermedin Demirovics blenden und gab nach einer frühen Führung das Spiel aus der Hand. Während die Gastgeber damals aber — nach einer dieser ominösen Trinkpausen Mitte August — relativ schnell zurück kam, dauerte es diesmal bis zur 81. Minute, bis die Brustringträger aus ihren Tagträumen gerissen wurden. Träume, in denen es in der Bundesliga ausreicht, den Ball ein bisschen hin- und her zu schieben und sich auf einer knappen Führung auszuruhen. Das klappt ja nicht mal gegen einen beinahe abgestiegenen Zweitligisten, wie man in der ersten Pokalrunde sehen konnte.
Ich hatte eigentlich gehofft, dass man die Zeiten der Genügsamkeit — ihr wisst schon, Mainz auswärts und so — hinter sich gelassen hat. Und dann lese ich Zitate von Karazor und Demirovic, die stolz darauf sind, dass man “bis zur 81. Minute sehr gut verteidigt, alle Standards vom Tor weggehalten und alle Kopfballduelle gewonnen” habe (Karazor) und “Bis in die Schlussphase haben wir sehr gut verteidigt und ich hatte nicht das Gefühl, dass wir das Spiel noch hergeben.” (Demirovic). Passend dazu erklärt Sebastian Hoeneß die Einwechslung von Ramon Hendriks für den wie immer starken Maxi Mittelstädt damit, dass er noch einen kopfballstarken Spieler auf dem Feld haben wollte. Wofür? Um hinten die Bälle rauszuköpfen? Dieser Fokus auf die Defensive und das Halten des Ergebnisses ist genau das, was uns in der Rückrunde regelmäßig Punkte gekostet hat.
Dabei kann man Hendriks bei den Gegentoren, die samt und sonders über seine linke Abwehrseite fielen, noch nicht einmal einen großen Vorwurf machen. Der Ausgleich durch Matanovic war einer dieser Sonntagsschüsse, wie wir sie derzeit regelmäßig kassieren. Unentschuldbar ist aber die komplette Kopflosigkeit, die es Derry Scherhant nur kurz darauf erlaubte, völlig freistehend aus fünf Metern zwei Mal in Folge aufs Tor zu schießen. Der aus meiner Sicht etwas zweifelhafte Elfmeter zum 3:1 war da schon fast egal, denn die Brustringträger waren so kurz nach dem nachmittäglichen Nickern noch viel zu verschlafen, um wenigstens einen Punkt zu retten. Wie eine Katze, die sich den Bauch vollgeschlagen hat und mit halben Elan nach der Fliege patscht, die sich ihr auf die Nase gesetzt hat.
Erschreckend ist dabei vor allem die Diskrepanz zwischen Selbstwahrnehmung und Realität. Nennt mich altmodisch, aber früher musste man sich als Spieler die Rückennummer 10 verdienen. Spielern wie El Bilal und Jeong wurde sie vermutlich zugewiesen, bei Chris Führich hingegen machte man von Seiten des Vereins in der Sommerpause eine riesen Nummer aus der Nummer, nur damit sich unser Zehner binnen drei Wochen vom Startelf- zum Minuten-Kandidaten entwickelt hat. Torwart Alex Nübel, in der Länderspielpause immerhin noch bei der Nationalmannschaft, hatte seinen Strafraum nur selten unter Kontrolle und Ermedin Demirovic wurde nach 75 Minuten für den defensiven Chema eingewechselt weil…ja warum eigentlich? Um ihn für die Trainingswoche zu schonen? Oder eben weil man dachte, man werde das Spiel gegen den letztjährigen Tabellenfünften genauso über die Zeit schaukeln wie über die harmlosen Gladbacher?
Warnschüsse gab es eigentlich genug — allein in dieser Saison. Gegen die Bayern ging man mit Titelambitionen in den Supercup, hungriger auf den Kirmescup war aber der Rekordmeister. Union war hungrig auf den ersten Sieg im ersten Heimspiel, beim VfB ging man davon aus, dass die eigene Qualität schon ausreichen würde. Braunschweig war so hungrig, dass sie uns fast aufgefressen hätten, in weiß und rot war man sich aber mehrfach zu bequem, um das Spiel zu zu machen. Und auch gegen die Borussia war die Leistung nur deshalb ausreichend für drei Punkte, weil man mit dem VfL den richtigen Gegner zur richtigen Zeit erwischte. Was beim VfB abseits von einer Alternative im Sturm fehlt: Die Gier, der Hunger, die Motivation, das Spiel ohne Zweifel auf die eigene zu ziehen.
Man muss dabei natürlich die Achse an Führungsspielern — Nübel, Chabot, Karazor, Mittelstädt, Demirovic in die Pflicht aufnehmen, aber genauso Trainer Sebastien Hoeneß und die sportliche Führung. Badredine Bouanani hatte ja immerhin zwei Wochen mit der Mannschaft trainiert, aber Bilal El Khannouss nach zwei Trainingstagen mit der Mannschaft direkt in die Startelf zu stellen, war in Bezug auf das eigene Offensivspiel schon sehr optimistisch. Genauso wie die Idee, sich auf dem Transfermarkt auf einen Spieler zu konzentrieren, dessen Verletzungshistorie man nutzt, um die erwartbar hohe Ablöseforderung zu drücken. Der Neuzugang aus Leicester zeigte zwar gute Ansätze, konnte die Mannschaft in ihrem Offensivvortrag trotzdem nicht aus ihrer Lethargie befreien. Bezeichnenderweise gelangen die beiden einzigen Schüsse aufs Tor bei der Führung und kurz danach, als der VfB den Ball schnell laufen ließ. Wie schon bei der Ecke, die zu Chemas Tor gegen Gladbach führte , war Risiko Trumpf.
Zumindest ein kalkuliertes Risiko. Denn die Mannschaft hat so viel Angst vor Kontertoren, dass sie sich gegenseitig nicht nur den Ball, sondern auch die Verantwortung hin- und herschiebt. Sebastian Hoeneß kritisierte im Anschluss den fehlenden Mut — die Frage muss erlaubt sein, was in der Halbzeitpause Thema seiner Ansprache an die Mannschaft war. Die seines Kollegen Julian Schuster war auf jeden Fall um einiges effektiver, denn während man beim VfB raten musste, was der Plan für die zweiten 45 Minuten war, verfolgten die Freiburger das klare Ziel, den Saisonauftakt mit zwei Niederlagen und einem knappen Weiterkommen im Pokal vergessen zu machen. Der VfB hingegen stand beim Ausgleich ironischerweise — mal wieder — zu hoch. Der Druck auf die Breisgauer war groß — und sie hielten ihm stand.
Beim VfB hingegen ist man trotz der erschreckenden Rückrunde und Analyse der vergangenen Saison satt und bequem geworden. Alles andere als die richtige Haltung, um am Freitagabend gegen ein ekliges St. Pauli anzutreten. Denn wenn der Saisonstart eines gezeigt, hat, dann das: Großes Talent, teure Ablösesummen und dicke Gehälter machen keinen Unterschied in solchen Spielen. Es ist der Hunger.
Man mag die Schärfe der hier geäußerten Kritik für übertrieben halten, aber nur mal zur Erinnerung: Wir haben in den letzten zwei Jahren so viel Geld für neue Spieler ausgegeben wie noch nie in der Geschichte des Vereins. Wir haben eine absurd hohe Ablösesumme für einen Spieler eingestrichen. Wir waren Vizemeister und sind Pokalsieger und stellen mehrere deutsche Nationalspieler. Und wenn wir so weiterspielen, wie seit Saisonbeginn, dann schmeißen wir das alles zum Fenster raus, weil wir meinen, diese Erfolge allein würden reichen, um sich in der Bundesliga vom Mittelfeld abzuheben.
Zum Weiterlesen: Auch der Vertikalpass ist sich sicher: Freiburg wollte es mehr.
Titelbild: © Helge Prang/Getty Images
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